Spät, aber nicht zu spät? Das wird erst die Zukunft erweisen. Das, was der französische Präsident Francois Hollandes jetzt gegenüber der “Le Monde” von Deutschland gefordert hat, hätte er bereits zu Beginn seiner Amtszeit fordern sollen, zum Wohle Frankreichs, Europas – und auch Deutschlands. Seine darüber hinaus gehenden Äußerungen offenbaren aber einen zentralen Schwachpunkt, der keine Besserung für Frankreich und die Europäische Währungsunion (EWU) erwarten lässt.
Hollande sagte in Richtung Deutschland: “Die Handelsbilanzüberschüsse und die Finanzsituation erlauben es, mehr zu investieren. Das ist der beste Dienst, den Deutschland Frankreich und Europa erweisen kann.” Warum erst jetzt? Hollande legt damit den Finger in eine Wunde, die schon lange offen liegt. Das amerikanische Finanzministerium hat die von Deutschland ausgehenden Ungleichgewichte im Außenhandel schon im vergangenen Jahr als zentrales Problem der Eurokrise und der Wachstumsschwäche Europas analysiert und unmissverständlich benannt (siehe dazu hier). Die konservative OECD schon ein Jahr zuvor (siehe dazu hier). Wir haben seit Jahren mit eigenen Analysen immer wieder auf die zentrale Rolle Deutschlands in der Eurokrise hingewiesen (siehe zum Beispiel diesen Beitrag aus dem Jahr 2011). Würde dies jetzt auch der Präsident der nach Deutschland größten Volkswirtschaft in der EWU anerkennen, wäre dies sicherlich ein Fortschritt. Wäre, denn die darüber hinausgehenden Äußerungen Hollandes offenbaren, dass er den deutschen Weg in seinem eigenen Land dennoch zu gehen beabsichtigt. Indem Hollande Deutschland zeitgleich auffordert, die Auswirkungen, die jene Politik in Deutschland gezeitigt hat, umzukehren – die Handelsbilanzüberschüsse zu senken und mehr zu investieren -, zeigt er nur den eigentlichen Schwachpunkt auf, der dem deutschen wie dem französischen “Reformkurs” zugrunde liegt. Das ist auch insofern relevant, als dass eben jenen “Reformkurs” längst auch andere Länder der EWU eingeschlagen haben – mit verheerenden Folgen (siehe dazu zuletzt hier).
Hollande bestätigt gegenüber “Le Monde” nämlich auch, dass Frankreich seine angekündigten Reformen umsetzen werde. Die Bemühungen zur Defizitreduzierung, so Hollande, seien aber auch vom Wachstum abhängig. Er verlange von Deutschland nicht irgendeine Art von Nachsicht, “sondern eine stärke Unterstützung des Wachstums.” Hollande gesteht damit den zentralen Schwachpunkt der “Reformen” ein, die in Deutschland unter dem Namen Agenda 2010 durchgesetzt worden sind und in Frankreich unter dem Namen “Le Pacte de Responsabilité et de Solidarité” gerade umgesetzt werden (siehe dazu ausführlich hier, vollständiger Beitrag nur im Abonnement): Weil die vornehmlich auf staatliche Ausgabensenkungen und Steuererleichterungen für Unternehmen setzenden “Reformen” das Wachstum im eigenen Land belasten und den wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum einengen, ist diese Politik auf das Wachstum aus dem Ausland angewiesen. Die Handelsbilanzüberschüsse, die Hollande jetzt auf deutscher Seite kritisiert, benötigt er daher jetzt selbst, um seinem “Reformkurs” zum Erfolg zu verhelfen. Das zeigt, dass der französische Präsident die Eurokrise, die ihr zugrundeliegende fehlerhafte deutsche Politik und den Schwachpunkt seines eigenen “Reformkurses” nicht verstanden hat. Hollande unterstreicht sein Unverständnis noch, wenn er einerseits die historisch niedrige Inflationsrate in Frankreich zum Anlass nimmt, vor einer Deflation zu warnen, diese andererseits aber nicht in Beziehung zu seiner eigenen Wirtschaftspolitik setzt (zur Deflation in Frankreich siehe auch hier, vollständiger Beitrag nur im Abonnement). Auch Hollandes Hinweis, dass der Außenwert des Euro weiter sinken müsse, unterstreicht die Abhängigkeit des “Reformkurses” von Außenhandelsüberschüssen, die die fehlende Binnennachfrage kompensieren sollen (siehe zur Wechelkursproblematik ausführlich hier, vollständiger Beitrag nur im Abonnement). Das aber ist trotz Rekordexportüberschüssen nicht einmal in Deutschland gelungen. Deutschland hat dennoch über Jahre ein unterdurchschnittliches Wirtschaftswachstum in der EWU und auch im Vergleich mit Frankreich erzielt, begleitet von der Investitionsschwäche, die Hollande jetzt kritisiert (siehe einen ausführlichen Vergleich der Entwicklung in Deutschland und in Frankreich hier, vollständiger Beitrag nur im Abonnement).
Hollande bleibt damit eine tragische Figur für Frankreich und für Europa. Tragisch deswegen, weil wohl nur Frankreich in der Lage gewesen wäre, der falschen, maßgeblich von Deutschland diktierten Europapolitik Einhalt zu gebieten und zu einer vernünftigen Wirtschaftspolitik zurückzufinden.
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