Gegen die Lagerbildung in der Ökonomie

Die “Allgemeine Theorie” von Keynes jährt sich im Februar zum 80. Mal. In der angelsächsischen Welt wenigstens wird dies zum Anlass genommen, die Bedeutung von Keynes und seinen theoretischen Überlegungen ein weiteres Mal zu diskutieren. So machte der Harvard-Ökonom Simon Wren-Lewis jüngst auf einen Text von sich aufmerksam. Er ist, gemeinsam mit anderen Beiträgen in der Januar-Ausgabe der “Review of Keynesian Economics” erschienen. Mich brachte gerade das Papier von Wren-Lewis dazu, erneut über die Lagerbildung in der Ökonomie nachzudenken. Sie ist in meinen Augen in Deutschland besonders ausgeprägt. Ich halte das nicht für sehr dienlich. Einer sachlichen und unvoreingenommenen Analyse steht die Lagerbildung in der Ökonomie allzu häufig im Weg.

Während Wren-Lewis die Sache eben nicht im Sinne einer ökonomischen Lagerbildung angeht, sondern die unterschiedlichen theoretischen Methoden nüchtern betrachtet und bewertet, stehen sich in Deutschland das Lager der Anhänger von Keynes und das Lager der Anhänger der Neoklassik recht unversöhnlich gegenüber bzw. ignorieren sich geflissentlich (eine löbliche Ausnahme ist sicherlich Heinz D. Kurz, siehe auch unsere Rezension hier). Ich möchte an dieser Stelle gar nicht näher auf dieses Phänomen eingehen, sondern vielmehr eine wichtige Alternative hierzu aufzeigen, die sich vielleicht am besten mit der Aufforderung auf den Punkt bringen lässt: Lesen Sie das Original!

Ein alter Professor, unter dem ich Volkswirtschaft studierte, riet mir vor vielen Jahren eben dazu und garnierte dies mit dem Satz: “Das ist wie ein gutes Stück Seife. Es wäscht sich nicht so schnell ab.” Und ich weiß tatsächlich gar nicht, ob ich ohne seine Empfehlung und seine Lehrtätigkeit Volkswirtschaft überhaupt fertig studiert hätte. Mit Sicherheit hätte ich das Fach dann jedoch nicht mit der Begeisterung und dem Interesse studiert, wie ich es habe. Keynes spielte dabei übrigens wahrlich nicht die größte Rolle. Ich halte ihn auch für völlig überschätzt, was seine theoretischen Überlegungen anbelangt. Weniger in ihrem Ergebnis, als in der Methode und der Konsequenz, mit denen er dazu gelangt ist. Das hat ein Ökonom wie Michal Kalecki früher bzw. zur selben Zeit wesentlich stringenter exerziert. Kalecki hat auch nicht wie Keynes die ökonomische Klassik angegriffen, sondern sich ihrer bedient und sie ebenfalls zum Gegenstand seiner Analysen gemacht. Viel interessanter erscheint mir von Keynes seine Einmischung in die Wirtschaftspolitik, die häufig viel klarer und zusammenhängender erscheint, als seine Theoriebildung (siehe zum Beispiel im Buch: “On Air. Der Weltökonom am Mikrofon der BBC”). Aber auch hier gilt selbstverständlich: Vielleicht hätte ich das Original, die Allgemeine Theorie, doch besser viel genauer studiert! Dagegen kann ich nur einwenden, dass sie mir in meinen Analysen nicht fehlt. Vielleicht ja aber auch, weil ich sie gelesen und in ihren wichtigen Grundzügen verinnerlicht habe, ohne deswegen aber gleich zu einem Keynesianer zu werden.

Was mir aber losgelöst von einzelnen Müttern und Vätern der ökonomischen Theorie wesentlich scheint, ist eben, sich mit ihren Originalen auseinanderzusetzen – und der Zeit, in der sie lebten, die ihnen ihren ökonomischen Gegenstand diktierte, was sehr häufig außer acht gelassen wird.

Ökonomische Standard-Lehrbücher des Universitätsbetriebs dagegen vereinnahmen nicht selten jene Originale für eine wesentlich beschränktere Sicht auf die Wirklichkeit und die Theoriebildung. Damit ist bereits der Grundstein für die Lagerbildung in der Ökonomie oder Volkswirtschaftslehre gelegt. Und der Grundstein für ungesundes Halbwissen. Man denke nur an die oberflächliche Darstellung des Merkantilismus oder auch der ökonomischen Klassik, letztere nicht selten in einen Topf mit der Neoklassik geworfen, selbst von bekannten, renommierten Ökonomen. Das ganze nicht selten dazu instrumentalisiert, wirtschaftspolitische Forderungen unterschiedlichster Couleur zu stellen. Dagegen hilft nur, das Original zu lesen.

Es gibt einen weiteren interessanten Gesichtspunkt, der hilft, der ökonomischen Lagerbildung zu widerstehen: Theorie Empirie-fähig zu machen. Auf ihn bin ich vom Ökonomen und ehemaligen Mitglied des Sachverständigenrats, Claus Köhler, im Gespräch aufmerksam gemacht worden, der sich in dieser Disziplin in seinen Büchern “Orientierungshilfen für die Wirtschaftspolitik” und “Wirtschaftspolitische Ziele in der globalen Welt” nach meinem Dafürhalten besonders hervorgetan hat. Welcher Professor aber benutzt diese Bücher in seiner Lehre oder weist zumindest auf sie hin? Welcher Professor empfiehlt, die “Klassiker” im Original zu lesen?

Stattdessen werden viele Bücher von eben jenen Professoren verfasst, die aber nicht im Ansatz die Substanz der genannten Bücher oder der ökonomischen Klassiker erreichen. Dazu zählt auch die didaktische Fähigkeit, einer Sache nicht nur auf den Grund zu gehen – schon das gelingt vielen nicht -, sondern das darüber erlangte Wissen auch verständlich zu vermitteln. Zu all dem trägt die ökonomische Lagerbildung nicht bei, sondern sie verhindert dies geradezu.

 


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