Diäten-Erhöhung: Politik als Selbstbedienungsladen – eine Verhöhnung nicht nur der Abgehängten, sondern aller Demokraten, durch die Abgeordneten

Man fragt sich nur noch, was schlimmer ist: die Politiker, die das Parlament als Selbstbedienungsladen nutzen, oder die so genannten Leitmedien, die sie dabei hofieren?

Beginnen wir mit den Leitmedien. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) meint, wenn man sich über die unerhörten Bezüge und die darüber hinaus gehenden Privilegien von Bundestagsabgeordneten aufregt, dies als “bloße Empörung” abkanzeln zu dürfen – und diejenigen, die so denken, gleich mit: als “Undemokraten”. Ein Substantiv, das der Duden übrigens nicht kennt. Das Unwort dagegen schon. Jan Bielicki, der den Text für die SZ verfasst hat, lässt allenfalls ein “leichtes Neidgefühl” von denjenigen, die weniger verdienen, zu.

Vielleicht ist er -wie so viele seiner Zunft – zulange Parlamentskorrespondent, hat sich also zulange in der Nähe der Abgeordneten bewegt und so, wie die Abgeordneten selbst, den Bezug zur Realität verloren und den gebührenden Abstand, um sich seine geistige Unabhängigkeit gegenüber der Politik zu bewahren. Oder ist er – wie so viele seiner Zunft – einfach zu gehorsam im Sinne des von Kurt Vonnegut überlieferten Ausspruchs von Heinrich Böll? Böll antwortete Vonnegut auf die Frage, was der Hauptcharakter eines Deutschen sei: Unterordnung. Mehr nicht. Oder ist er – wie so viele seiner Zunft – einfach zu dämlich oder zu denkfaul?

Wie sonst ließe sich erklären, dass Bielicki sich damit begnügt zu meinen: “Ein Teil der Abgeordnetendiäten ist inzwischen zum Schmerzensgeld geworden, einer Entschädigung für den wachsenden Hass, der ´den´ Politikern immer offener entgegenschlägt. Es ist kein leichter Job, er ist in der Regel mit viel Arbeit verbunden und, ja, er ist einer der wichtigsten, den eine Demokratie zu vergeben hat. Und sollte jemand, der ihn tut, doch nicht verdienen, was sie oder er verdient: Der Vertrag ist alle vier Jahre kündbar.”

Er, Bielicki, meint aber nicht, hinterfragen zu müssen, woher denn jener “wachsende Hass” rührt, der den “Politikern immer offener entgegenschlägt”. Die Leser der SZ erfahren von ihm auch nicht, warum “viel Arbeit” diese Diätenerhöhung rechtfertigen soll, genauso wenig wie die schon vorher existierende finanzielle Ausstattung der Bundestagsabgeordneten, die weit über die von Bielicki genannten 9.082 Euro im Monat hinausgeht (siehe hierzu auch die verschiedenen Beiträge zur Problematik der Abgeordneten-Bezüge hier). Der Aufgabe einer “vierten Gewalt”, die der Journalismus gern für sich beansprucht, wird Bielicki damit jedenfalls nicht gerecht.

Dabei liegt doch nichts näher, als zu hinterfragen, warum sich die Abgeordneten wie selbstverständlich eine automatische Erhöhung ihrer Bezüge gemäß der allgemeinen Lohnentwicklung genehmigen, dieselben Abgeordneten dies aber den Mindestlohnempfängern verweigern. Es ließe sich noch wesentlich mehr hinterfragen, die absolute Höhe der Abgeordneten-Bezüge wie andere ihnen zustehende Privilegien zum Beispiel. Aber der Vergleich mit der gesetzlichen Regelung für Mindestlöhne wäre doch das Mindeste gewesen (siehe zum Mindestlohn zuletzt ausführlich hier). Sowohl aus demokratischer Sicht, als auch aus wirtschaftspolitischer Sicht und aus einem gesunden Gerechtigkeitsempfinden heraus.

Nicht besser fällt der Bericht in der Frankfurter Rundschau aus. Die hält lapidar fest: “Immer neue, in der Bevölkerung oft als ´Selbstbedienung´ umstrittene Verhandlungen über die Abgeordneten-Diäten sind damit überflüssig.” Es ließen sich sicherlich ohne Schwierigkeit weitere Beispiele für den handzahmen Umgang deutscher Zeitungen mit dem Thema finden. Zeitungen und Verlage, die sich – wie viele Abgeordnete – zugleich mit Händen und Füßen gegen die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns gewehrt haben.

Gerade dieser Umgang in Politik und Medien mag aber vielleicht helfen zu erklären, warum “den” Politikern, wie Bielicki es ausdrückt, “wachsender Hass” “immer offener entgegenschlägt”. Es gilt hier wohlgemerkt nicht darum, diesen Hass zu rechtfertigen, sondern darum, ihn zu verstehen. So mit ihm umzugehen, wie es viele Politiker und Journalisten im Sinne Bielickis tun, wird der Thematik jedenfalls nicht gerecht, sondern ist allenfalls geeignet, jenen Hass und jene Politikverdrossenheit weiter zu befeuern. Parteien wie die AfD wird es freuen!


Dieser Text ist mir etwas wert


Verwandte Artikel: