WuG unterwegs im Süden Europas: Ein Jahr ist es her
WuG - 05-03-2015-2b

Liebe Leserinnen und Leser,

vor einem Jahr – pünktlich zum Frühlingsanfang, der auch in diesem Jahr auf den 20. März fällt – bin ich aufgebrochen, in den Süden Europas, um den Blick nicht länger nur vom Schreibtisch auf die Situation in den von der Eurokrise am stärksten betroffenen Länder zu richten, sondern auch direkt von der Straße aus. Die Reise hat mich über mehrere Tage, Wochen und Monate zu Fuß, per Anhalter und Bahn von der Haustür aus nach Frankreich und weiter durch Spanien, Portugal, Italien und Griechenland geführt, zurück über Belgrad und Wien nach Berlin.

Während die Reise nun schon mehrere Monate zurück liegt, ist sie noch längst nicht fertig erzählt. Der Weg durch Deutschland, Frankreich, Spanien und Portugal ist bereits zu Papier gebracht (nachzuverfolgen hier auf der Karte und hier als Text). Aber viele Reiseerzählungen stehen noch aus. Gerade haben die Abonnenten und ich die Grenze von Portugal zurück nach Spanien passiert und meine Labrador-Hündin und ich sind in Sevilla angekommen. Hilkas Pfoten sind wund vom Asphalt über den wir uns über zwei Tage unter strahlendem Sonnenschein geschleppt haben. Es fehlt, trotz Unterstützung durch Spenden und Abonnements von Lesern, das Geld für eine Unterkunft – es sind auch existenzielle Erfahrungen, die ich auf dieser Reise sammle und vertiefe -, und so entscheide ich mich erneut draußen zu schlafen. Ein ganz besonderer Platz ist es dieses Mal. Doch dazu mehr in den nächsten Reiseerzählungen, die, wie die vorangegangenen, im Abonnement erscheinen werden.

Manchmal denke ich, ich bin nicht zum Bücherschreiben geboren. Aber vielleicht wird ja doch noch eines drauß. In jedem Fall merke ich, dass ich mich dazu nicht zwingen möchte, sondern alles in Ruhe erzählt werden soll. Die Erlebnisse sind einprägsam, die Menschen, die dieses Europa tragen und, man muss es angesichts der gescheiterten Politik wohl so nennen, aushalten, werden sich nicht so schnell verändern – sonst hätten sie es schon längst getan. Verzweifelte Menschen, vor allem aber immer noch lebensfrohe, offene, gastfreundliche Menschen sind mir begegnet, haben mich aufgenommen, mir ihre Geschichte erzählt oder mich ein Stück des Weges begleitet.

Verändert aber hat sich seitdem bereits – wie im übrigen erwartet bzw. befürchtet – das politische Europa. Es gibt sie wieder, Grenzen. Populistische Parteien haben weiter Auftrieb erhalten. Das war schon während meiner Reise absehbar, in Frankreich zum Beispiel. Natürlich gibt es ihn, den organisierten Rechts- oder Linksradikalismus, der versucht, verzweifelte Menschen für sich zu gewinnen. Es gibt aber auch viele, sehr viele Menschen, die sich aus schierer Verzweiflung über die Aussichtslosigkeit, mit der sie von der herrschenden Politik zurückgelassen werden, radikalen Parteien zuwenden. Doch ist diesem Radikalismus nicht der Radikalismus der etabierten, sich demokratisch nennenden Politiker vorausgegangen, die diesen weiter als Erfolg zelebrieren? Für mich ist das eine ohne das andere nicht denkbar.

Die Reiseerzählungen sind eigentlich unpolitisch, sie sammeln nur auf, was mir am Wegesrand begegnete und streuen hier und da einige allgemeinere Reflexionen ein. Und doch sind sie wieder politisch, weil sie gewissermaßen im Vorbeigehen zeigen, dass da auf der Straße ein anderes Europa herrscht, das sich trotz all der übergeordneten Unmenschlichkeit so unendlich viel Menschlichkeit bewahrt hat. Und war das nicht immer so: Wollten Menschen jemals in der Geschichte in Kriege ziehen, Grenzen, materielle Not, Armut für viele und Reichtum für wenige? Doch immer nur sehr wenige, die davon profitierten und profitieren. Es waren und sind immer die Herrschenden, die die Menschen auf der Straße in Not und Elend stürzen. Sie versagen immer wieder aufs Neue. Das muss man unterscheiden, will man den Glauben an die Menschheit nicht verlieren.

Soweit diese kurze Zwischennotiz zum Einjährigen.

Allen einen guten Start in den neuen Frühling.

Es grüßt Sie herzlich,

Florian Mahler


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