Umstrittene Handelsbilanzüberschüsse: Verstößt das Bundesfinanzministerium gegen das Gesetz?

Spiegel online und andere Medien berichten über ein Papier aus dem Bundesministerium der Finanzen, das sich gegen die Kritik aus dem Ausland an dem seit langem umstrittenen deutschen Handelsbilanz- bzw. Leistungsbilanzüberschuss wehrt. Brisant ist das zum einen deswegen, weil das Bundesfinanzministerium dieses Papier offensichtlich just an die Medien lanciert hat, die, wie das Bundesfinanzministerium selbst, jene Kritik am deutschen Außenhandelsüberschuss nicht weiter hinterfragen, sondern geradezu abbügeln. Und das pünktlich einen Tag vor dem Besuch des Bundesfinanzministers, Wolfgang Schäuble, beim Treffen der G20-Fi­nanz­mi­nis­ter und -No­ten­bank­gou­ver­neu­re in Wa­shing­ton. Dort wird sich Schäuble eben jener Kritik ein weiteres Mal stellen müssen. Zum anderen zeugt die Berichterstattung über das Dokument bei den berichtenden Medien von der Unkenntnis eines zentralen Gesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Da man diese Kenntnis beim Bundesfinanzministerium voraussetzen muss, könnte man auch von einem Verstoß gegen das Gesetz sprechen.

So heißt es laut Spiegel online in dem Argumentationspapier des Bundesfinanzministeriums (fett im Orginal, T.H.):

“Die Leistungsbilanz sei für die Bundesregierung keine sogenannte Steuerungsgröße, belehren die Autoren etwa die Amerikaner. Der Grund: Sie lasse sich nur in sehr begrenztem Rahmen durch politische Maßnahmen beeinflussen. ´Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss ist vor allem das Ergebnis von marktbasierten Angebots- und Nachfrageentscheidungen von Unternehmen und privaten Verbrauchern auf dem Weltmarkt.”

Die Amerikaner müssen sich aber auf dieser Basis sicherlich nicht von den Deutschen “belehren” lassen. Sie werden es auch besser wissen. Dass nämlich die Leistungsbilanz sehr wohl eine wirtschaftspolitische “Steuerungsgröße” ist, die sich keineswegs nur in “begrenztem Rahmen durch politische Maßnahmen beeinflussen” lässt.

Vielsagend sind in dieser Hinsicht nicht nur die halbjährlichen Analysen des US-Finanzministeriums an den Kongress, die nunmehr seit Jahren gut fundiert ihre Kritik am deutschen Leistungsbilanzüberschuss begründen, wie auch die jüngste Kritik und Forderung der IWF-Chefin an Deutschland, die Überschüsse in die Infrastruktur zu investieren. Es ist das berühmte Stabilitätsgesetz aus dem Jahr 1967, genauer, das “Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft” (StabG), das der deutschen Bundesregierung vorschreibt, für ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht zu sorgen. Nichts anderes fordern die USA und viele andere Länder. Das StabG hat bis heute nichts an seiner Gültigkeit und Relevanz verloren – außer für die Bundesregierung, die es seit langem missachtet.

Im StabG heißt es in §1:

“Bund und Länder haben bei ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten. Die Maßnahmen sind so zu treffen, daß sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen.”

Der Abbau des Leistungsbilanzüberschusses bzw. das geforderte außenwirtschaftliche Gleichgewicht sind also nicht nur ökonomisch gut begründbar eine wirtschaftspolitische Steuerungsgröße, sie sind auch durch das Gesetz vorgeschrieben.

In §3 heißt es hierzu unmissverständlich weiter:

“(1) Im Falle der Gefährdung eines der Ziele des § 1 stellt die Bundesregierung Orientierungsdaten für ein gleichzeitiges aufeinander abgestimmtes Verhalten (konzertierte Aktion) der Gebietskörperschaften, Gewerkschaften und Unternehmensverbände zur Erreichung der Ziele des § 1 zur Verfügung. Diese Orientierungsdaten enthalten insbesondere eine Darstellung der gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge im Hinblick auf die gegebene Situation.

(2) Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat die Orientierungsdaten auf Verlangen eines der Beteiligten zu erläutern.”

Und in § 4 heißt es daran anknüpfend auch für die deutschen Bemühungen auf internationaler Bühne verpflichtend:

“Bei außenwirtschaftlichen Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, deren Abwehr durch binnenwirtschaftliche Maßnahmen nicht oder nur unter Beeinträchtigung der in § 1 genannten Ziele möglich ist, hat die Bundesregierung alle Möglichkeiten der internationalen Koordination zu nutzen. Soweit dies nicht ausreicht, setzt sie die ihr zur Wahrung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts zur Verfügung stehenden wirtschaftspolitischen Mittel ein.”

Nichts davon unternimmt die Bundesregierung. Im Gegenteil, sie kanzelt und bügelt jede auch noch so konstruktive Kritik am deutschen Außenhandelsüberschuss mit fadenscheinigen Argumenten ab. Fadenscheinig deswegen, weil sie jedes andere Industrieland nicht weniger für sich beanspruchen könnte. Denn gute Produkte produzieren keineswegs nur die deutsche Unternehmen.

Man darf gespannt sein, ob die neue US-Administration sich das bieten lässt und sich – wie die US-Administration unter Obama – mit gut begründeter Kritik begnügt, ansonsten aber still hält. Oder aber, ob Schäuble endlich zur Raison gebracht wird.


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