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Diskussion Arbeitszeitverkürzung: Leserbrief eines Mitinitiators des offenen Briefes zur Arbeitszeitverkürzung, Prof. Dr. Mohssen Massarat, und meine Antwort

Am 13. Februar ist mein Beitrag “Die Arbeitszeitverkürzung ist längst da – warum die Arbeitslosigkeit dennoch steigt und wie sie gesenkt werden kann” erschienen, der sich kritisch mit einem offenen Brief für Arbeitszeitverkürzung auseinandersetzt. Jetzt hat einer der Mitinitiatoren jenes offenen Briefes, Mohssen Massarrat, darauf mit einem Leserbrief reagiert. Der Leserbrief wurde bereits in der Rubrik Leserbriefe veröffentlicht. Wir geben ihn an dieser Stelle noch einmal wieder, gemeinsam mit meiner Antwort.

Ergänzend hierzu diese Graphik:

Arbeitslosenquote und Veränderung der Arbeitnehmerentgelte, 1960-2012

LESERBRIEF zum Artikel “Die Arbeitszeitverkürzung ist längst da…”

In seinem Artikel  vom 13.02. nennt Herr Hild zwei angeblich fundamentale
Schwächen des von Prof. Dr. Heinz-Josef Bontrup und mir verfassten Offenen
Briefes zur 30-Stundenwoche:

Erstens vernachlässigten die Verfasser das Wachstum des BIP als
Möglichkeit zur Überwindung der Massenarbeitslosigkeit bzw. versäumten sie zu
erwähnen, “dass alle Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels und gegen
die Naturzerstörung und die damit verbundene Forschung, Produktion und
Inbetriebnahme neuer Technologien weiteres Wachstum” bedeuteten. Richtig
ist, dass wir aufgrund faktischer Grenzen des Wachstums diese Alternative
bewusst nicht in Betracht gezogen haben, weil dieser Weg – wie wir das bei den
Erwartungen innerhalb der Gewerkschaften und der Links-Partei beobachten können
- bestenfalls Illusionen hervorrufen und von der historischen Notwendigkeit
und Möglichkeit der kollektiven Arbeitszeitverkürzung ablenken würde. Diese
unsere Sicht steht auch in keiner Weise im Widerspruch zum selektiven Wachstum
bei neuen Natur schonenden Technologien und Forschungen, wie wir das soeben beim
Umbau, weg von den konventionellen Energietechnologien und hin zu regenerativen
Energien, vor Augen geführt bekommen. Hier handelt es sich um eine
Wachstumsumschichtung, und so kann es in anderen Bereichen auch stattfinden.

Zweitens. Wir würden die eigentliche Ursache des Lohnverfalls und die
Entstehung des Niedriglohnsektors verkennen. Nicht die Massenarbeitslosigkeit,
wie wir behaupteten, sei die Ursache des Lohnverfalls, sondern die
Arbeitsmarkt- und vor allem die Hartz IV-Regeln. Hier übersieht Herr Hild
leider, dass die von Rot-Grün seinerzeit geschaffene “Liberalisierung des
Arbeitsmarkts” und die Hartz IV-Regeln als Repressionsinstrument nur mit
dem Versprechen, die Massenarbeitslosigkeit überwinden zu wollen, überhaupt
durchgesetzt werden konnten. Somit resultierten jene Instrumente, die Hild als
Ursache interpretiert, aus der Tatsache der Massenarbeitslosigkeit. Sie ist die
Hauptursache des Lohnverfalls und der Entstehung des Niedriglohnsektors. Auch
das Argument, vor den rot-grünen Arbeitsmarkt-Regeln hätte es
Massenarbeitslosigkeit gegeben, ohne dass daraus ein Lohnverfall hervorgegangen
wäre, widerspricht der Empirie. Der Lohnverfall begann mit der
Massenarbeitslosigkeit Ende der 80er Jahre, und er hält bis heute an, weil es
Massenarbeitslosigkeit gibt.

Prof. Dr. Mohssen Massarrat       Berlin, den 15.02.2013

Mitinitiator des Offenen Briefes

Meine Antwort auf den Leserbrief Mohssen Massarrats:

Sehr geehrter Herr Massarrat,

vielen Dank für Ihren Leserbrief, den ich gern auf Wirtschaft und Gesellschaft veröffentliche und auf den ich gern die Leser aufmerksam mache.

Zunächst zu Ihrem zweiten Punkt, dass ich übersehen hätte,  „dass die von Rot-Grün seinerzeit geschaffene ´Liberalisierung des Arbeitsmarkts´ und die Hartz IV-Regeln als
Repressionsinstrument nur mit dem Versprechen, die Massenarbeitslosigkeit
überwinden zu wollen, überhaupt durchgesetzt werden konnten.“ Ich schreibe ja
im Gegenteil explizit, dass Schröder „damit meinte und wohl immer noch meint,
die Massenarbeitslosigkeit bekämpfen zu können.“

Sie schreiben ferner: „Der Lohnverfall begann mit der Massenarbeitslosigkeit Ende der 80er Jahre, und er hält bis heute an, weil es Massenarbeitslosigkeit gibt.“

Ich habe mir daraufhin gerade einmal die Arbeitnehmerentgelte je Beschäftigten, real (2005=100), angeschaut (Ameco Datenbank) und für einige Zeiträume die Veränderungen berechnet (so etwas kostet leider immer ein wenig Zeit; aber ich muss mich ja der Zahlen und Zusammenhänge irgendwie vergewissern; schön wäre es natürlich gewesen, wenn Sie mir die von Ihnen behauptete Entwicklung entsprechend aufgezeigt hätten, so dass ich sie sogleich hätte nachvollziehen können.)

Da sie „Ende der 80er Jahre“ schreiben, habe ich zunächst den Zeitraum 1986-1989 genommen. In diesem Zeitraum haben die Arbeitnehmerentgelte real um 2,1% zugelegt. Im Zeitraum davor, 1982-1985, legten die Arbeitnehmerentgelte real um 1,5% zu. Daraus lässt sich schon einmal kein Lohnverfall Ende der 80er Jahre ableiten.

Weil Sie schreiben „mit der Massenarbeitslosigkeit Ende der 80er Jahre“: Die Arbeitslosenquote  erreichte in den 80er Jahren ihren Höhepunkt 1985 mit 7,2 % und war zuvor von 2,7% (1980) stetig auf diesen Wert gestiegen. Danach sank sie stetig auf 5,6% 1989 (1986-1989 verringerte sich die Arbeitslosenquote um über 15%; die
Zahl der Arbeitslosen ging um über 11% zurück). Im gesamten Zeitraum, 1980-1989,
stiegen die Reallöhne um 3,6%.

Blendet man die Zeit kurz nach der Wiedervereinigung aus und schaut erneut Mitte der 90er Jahre auf die Entwicklung der Arbeitnehmerentgelte ergibt sich folgendes Bild:

1995-2000: die Arbeitnehmerentgelte stiegen in diesem Zeitraum real um 4,4%; die Arbeitslosenquote lag in diesem Zeitraum zwischen 8 und 10%, höher also als Mitte bis Ende der 80er Jahre.

2000-2003: Trotz steigender Arbeitslosigkeit stiegen die Arbeitnehmerentgelte real auch in diesem Zeitraum, um 0,7%.

2003-2007: Erst nach der Einführung von Hartz IV war die Entwicklung der realen Arbeitnehmerentgelte über einen längeren Zeitraum negativ: -1,5%.

Unabhängig davon aber stellt sich weiterhin die Frage, was Ursache ist und was Folge ist: Ist die Massenarbeitslosigkeit Ursache einer schlechten Lohnentwicklung oder ist die schlechte Lohnentwicklung Ursache für die hohe Arbeitslosigkeit?

Zu Ihrem ersten Punkt: Über „die faktischen Grenzen des Wachstums“ wage ich als Ökonom nicht so schnell zu urteilen. Mehr Bildung und mehr soziale Dienste bedeuten auch mehr Wachstum; ob dies lediglich einer „Wachstumsumschichtung“ entspricht, wie Sie schreiben? Das hieße dann doch, dass andere Wachstumsbereiche entsprechend abnehmen und so ein Null-Wachstum entstünde? So komprimiert, wie Sie sich dieses sicherlich komplexen Gegenstands annehmen, ist der Sache schwerlich beizukommen in meinen Augen.

Herzliche Grüße,

Florian Mahler

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