Die desaströsen Bankenrettungen in Europa – Von Gerhard Schick

Gerhard Schick

Alle reden von Krise, aber um was für eine Krise handelt es sich in Europa überhaupt? Angela Merkel und ihre konservativen Kollegen werden nicht müde zu predigen, es handele sich um eine Staatsschuldenkrise. Die “Südländer” hätten über ihre Verhältnisse gelebt, jetzt gilt es zu sparen. Dabei war es, mit Ausnahme Griechenlands, gerade nicht die Ausgabenwut undisziplinierter Regierungen, die zu einer Schieflage der Staatsfinanzen führte, sondern die skandalösen Bankenrettungen auf Kosten der Steuerzahler unter Freikauf der meisten Gläubiger.

Wie aus einer Finanz- und Bankenkrise innerhalb nur weniger Jahre eine Staatsschuldenkrise wurde, ist auch eine Meisterleistung Merkelscher Medienarbeit. Deswegen muss man sich die Bankenkrise und die Reaktion darauf einmal genauer ansehen, um unsere heutigen Probleme zu verstehen.

Als in den USA die Immobilienblase platzte und später die Großbank Lehman Brothers zusammenbrach dauerte es nicht lange, bis die Finanzkrise nach Europa schwappte. Zu sehr verwoben waren europäische Institute mit dem amerikanischen Markt. Getäuscht von den Top-Noten der drei großen Ratingagenturen hatten sie sich munter in den US-Verbriefungsmarkt eingekauft, der 2007 zusammenbrach. Dazu gab es hausgemachte Probleme. Irland und Spanien hatten selbst eine Immobilienblase herangezüchtet, größtenteils finanziert mit Krediten von deutschen und französischen Banken (1). In Irland war die Bilanzsumme der Banken vor der Krise sieben mal so groß wie die Wirtschaftsleistung, das kleine Land war also mit einem taumelnden Bankensektor schnell überfordert. Die Staatsschulden waren da zunächst kein Problem, in Spanien lag die Quote bei komfortablen 35 Prozent, in Irland bei niedrigen 25 Prozent – Werte, von denen Deutschland nur träumen könnte.

Wenn die Vermögenswerte einer Bank aus irgendwelchen Gründen plötzlich an Wert verlieren, kann es passieren, dass der Wert des Vermögens kleiner ist als die Verbindlichkeiten einer Bank. Sie könnte also im Fall der Fälle nicht alle ihre Gläubiger auszahlen, ihr Eigenkapital ist weg – sie ist pleite. Genau das ist im Zuge der Finanzkrise passiert. Die Werte der teilweise abenteuerlichen Investitionen stürzten jäh ab und waghalsige Kredite an Unternehmen, Privatpersonen und anderen Banken wurden faul. Normalerweise würde das Eigenkapital schrumpfen, die Besitzer der Bank müssten herbe Verluste einstecken, im Zweifel würde die Bank gar abgewickelt und auch andere, die der Bank Geld geliehen haben (Gläubiger) müssten Verluste hinnehmen. Das passiert tagtäglich, wenn ein normales Unternehmen insolvent wird. Doch während die Gläubiger eines Unternehmens professionelle Investoren sind, bestehen die Gläubiger einer Bank auch aus ganz normalen Bürgern, die ihr Geld auf einem Sparbuch angelegt haben. Als dann die Krise hereinplatzte, gab es keinen Notfallplan, der die Beteiligung der professionellen Gläubiger erlaubt und die Sparer geschützt hätte. Die politische Elite steckte im Dilemma und einigte sich im kurzfristigen Streben nach Stabilität stillschweigend auf ein verhängnisvolles Mantra: So gut wie alle Verluste der Banken werden vom Staat übernommen. So braute sich in Europa eines der desaströsten Umverteilungsprojekte zusammen: Die Bankenrettung.

Dabei garantiert der Staat die Schulden der Bank oder bezahlt diese Schulden, indem er der Bank dafür Geld gibt oder die Bank verstaatlicht und damit alle Zahlungsverpflichtungen erfüllt. Wem hilft das? Natürlich nicht der Bank selbst, das ist ja nur ein Unternehmen, eine juristische Person, eine Hülle sozusagen. Wirklich profitieren tun diejenigen, denen die Bank Geld schuldet. Das sind zum Beispiel Fonds, Versicherungen oder auch Unternehmen. Diese, bzw. die hinter ihnen stehenden Privatpersonen profitieren davon, wenn die Bank gerettet wird. Manchmal sind die Geldgeber der Bank wiederum Banken. Dann ist die Rettung einer Bank gleichzeitig auch die Rettung der nächsten. Durch die Rettung der Bank Hypo Real Estate wurde auch der Deutschen Bank geholfen.

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Wirtschaft und Gesellschaft hat jetzt auch eine und freut sich über jedes “Gefällt mir”.

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Auch wir Bankkunden mit unseren Girokonten profitierten natürlich von so einer Rettung. Das ist allzu verständlich, ja es ist gar eine Voraussetzung für das reibungslose Funktionieren der Realwirtschaft. Alle anderen Gläubigerkategorien aber, vorneweg die Halter sogenannter unbesicherter Anleihen, hätte man bei den Schieflagen der Institute beteiligen können. Denn selten geht es ja darum, dass dann alles Geld der Gläubiger weg wäre. Meistens hätten die Geldgeber 10 oder 20 Prozent verloren (2). Das hätte sie noch nicht selbst ins Wackeln gebracht. Außerdem gibt es die Möglichkeit, den Anlegern an der Stelle der Kredite einen Tausch anzubieten: Sie bekommen zwar nicht ihr Geld zurück, sie erhalten aber Aktien der Bank. Das ist besser für die Gläubiger, als wenn ihr Geld ganz weg ist. Und es ist besser für die Bank, weil sie dann neues Eigenkapital hat, um das Eigenkapital zu ersetzen, das ihr verloren gegangen ist.

Wir Grüne haben nachrechnen lassen, wie viel Steuerzahlergeld diese falsche Strategie uns alle gekostet hat. Das Ergebnis: Allein bei sieben Bankenrettungen in Griechenland, Zypern und Spanien hätten zusammen 35 Milliarden Euro gespart werden können. Wären die Behörden noch früher eingeschritten, wäre bspw. in Spanien europäisches Rettungsgeld ganz unnötig gewesen. Ohne den spanischen Steuerzahler einen Euro zu kosten, ohne die Staatsschulden zu erhöhen und damit den Bankrott Spaniens wahrscheinlicher zu machen. Und – nicht zu vergessen – ohne Auflagen einer Troika aus IWF, EU-Kommission und EZB zu erfüllen, die ideologisch fundierte Ausgabenkürzungen vornehmen und das Land in den Abgrund treiben.

Alleine bei den vier großen griechischen Banken sind mangels Gläubigerbeteiligung Verluste des staatlichen Bankenrettungsfonds (HFSF) von über 20 Mrd. € zu erwarten, was ca. 15% der griechischen Wirtschaftsleistung entspricht. Die immer wiederkehrenden Debatten um einen Schuldenschnitt bei öffentlichen Gläubigern wären obsolet, hätte man bei der Bankenrettung nicht den goldenen Fallschirm für Investoren aus Steuermitteln finanziert. Das ist das Ergebnis der detaillierten Analyse von Bilanzen der Krisenbanken, die im Auftrag der grünen Fraktionen im Bundestag und Europaparlament von Hans Joachim Dübel (Finpolconsult) erarbeitet wurde.

In der Graphik zur spanischen Bankia kann man exemplarisch verfolgen, wie der Kapitalanteil der institutionellen Investoren von Jahr zu Jahr geringer wurde, er hat sich mehr als halbiert:

Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.

Selbst der Internationale Währungsfond hatte darauf hingewiesen, dass das neue spanische Restrukturierungsgesetz die Grundlage für eine weitreichendere Gläubigerbeteiligung geliefert hätte.

Als wichtigen Grund für das skandalöse Vorgehen der Regierungen sieht die Studie die enge Verbindung zwischen Investoren und nationalen Regierungen. Die größten potenziellen Verlierer konnten gewaltigen Lobbydruck aufbauen, der sich für sie in barer Münze ausgezahlt hat. Das Meinungskartell der Bankenretter interessierte sich noch nicht mal für die Identität dieser Gläubiger und ob sie Verluste verkraften könnten oder nicht. Das aber allein hätte eine demokratische Diskussion über die Art der Bankenrettung ermöglicht. Anstatt Für und Wider, hätten wir uns über das Wie der Bankenrettung unterhalten müssen. Denn indem es um Pleite oder Stabilität ging, waren alle für Stabilität.

Fragt man die Menschen auf der Straße in Bad Salzuflen, Papenburg oder Neubrandenburg, wer in Europa gerade wen rettet, heißt die intuitive Antwort: Allen voran Deutschland unterstützt Irland, Spanien, Portugal und Griechenland. Fragt man aber, wie der Journalist Harald Schumann es für eine Fernsehdokumentation getan hat, die Menschen in Krisenstaaten, gilt die Meinung der irischen Rentnerin Frances O’Brien aus dem kleinen Dorf Ballyhea 240 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Dublin exemplarisch: “Wir zahlen für Eure Banken. Wir haben Euch gerettet, sag das den Deutschen!” (siehe Minute 24 im Film).

Verkehrte Welt? Die Geretteten retten die Retter? Oder sind die Retter am Ende die Geretteten? Als Irlands Blase platzte, waren die Banken überschuldet, es drohten Ausfälle für die Gläubiger. Doch wer waren diese Gläubiger? Irische Kleinanleger? Waghalsige Hedgefonds? Nicht nur. Allein deutsche Banken hatten zwischen 2005 und 2008 mehr als 100 Milliarden Euro nach Irland gelenkt, das entspricht zwei Drittel der Wirtschaftsleistung des kleinen Landes. Um einen Kollaps zu vermeiden, garantierte der irische Staat für zwei Jahre die Schulden seiner Banken. Dann schlüpfte Irland unter den europäischen Rettungsschirm und bekam fortan das berühmte Rettungsgeld, das auch von Deutschen garantiert wird. Dieses Rettungsgeld landet zunächst beim irischen Staat, wird dann an die Banken weitergeleitet, die damit direkt wieder die ausländischen Gläubiger ausbezahlen, die eben zu einem großen Teil in Deutschland sitzen. Irland ist eine große Wechselstube geworden, in der die Milliarden nur kurze Zeit aufleuchten, um gleich darauf wieder ins Ausland zu verschwinden.

Irische Ökonomen und Politiker sind sich einig: Diese erzwungene Bankenrettung war ein schwerer Fehler. Man möchte also meinen, er würde so schnell nicht wiederholt. Doch in Spanien wurde bis Sommer 2012 unter den Augen der bankenrettungsgeplagten Öffentlichkeit einmal mehr eine dreiste Sozialisierung von Verlusten organisiert. Als hätte Europa einen Sprung in der Platte: Die Regierung garantierte zunächst die Bankschulden, sah sich dann gezwungen, einzelne Institute zu retten und konnte sich schließlich selbst nicht mehr an den Kapitalmärkten finanzieren, so dass sie bei den Europäern Hilfskredite beantragte.

Im März 2013 in Zypern wurde das nächste Rettungskapitel geschrieben – mit anderem Ausgang aber nicht minder desaströs. Bereits mehr als neun Monate zuvor hatte die kleine Insel im östlichen Mittelmeer einen Hilfsantrag gestellt – der erstmal ignoriert wurde. In der Zwischenzeit gewährte die zypriotische Zentralbank dem völlig überdimensionierten und pleitebedrohten Bankensektor Notfall-Liquiditätshilfen, sogenannte emergency liquidity assistance (ELA). Wer damals sein Geld nicht außer Landes brachte, muss sich im Nachhinein mächtig ärgern. Denn bei einem Finanzministertreffen im samstäglichen Morgengrauen am 16. März 2013 setzten die europäischen Regierungen die Zyprioten unter Druck: Das Rettungsprogramm sei nur mit eigener Beteiligung an den Sparanstrengungen zu haben.

Jetzt war es andersherum. Waren die Gläubiger in Irland vielleicht einfach zu deutsch und französisch und in Zypern zu russisch und zypriotisch? Was dann folgte war ein Lehrstück der ineffizienten Hinterzimmerpolitik. Die Banken blieben geschlossen, der Zahlungsverkehr von und auf die Insel wurde sofort stark eingeschränkt, noch bevor die meisten Menschen an diesem Samstagmorgen erwachten. Die einfachen Leute sowie die Dummen sollten jetzt die Zeche bezahlen. Dagegen regte sich Widerstand, das Parlament wies aufgrund großen Protests der Bevölkerung die Zwangsabgabe der Kleinsparer zurück. Doch das Vertrauen war schon zerstört. Eine Woche später am 25. März 2013 fand wieder eine nächtliche Krisensitzung statt – und man einigte sich schließlich: Auf die Verschonung der Kleinsparer, die Abwicklung der zweitgrößten Bank und die Belastung der Investoren und größeren Geldvermögen bei den Pleitebanken. Schon eine Woche später tauchte übrigens eine Liste mit 136 Unternehmen auf, die kurz vor den Schicksalsentscheidungen noch Millionen außer Landes gebracht hatten – darunter auch Verwandte des Präsidenten (3).

Warum geraten US-Bundesstaaten wie New York eigentlich nicht in Zahlungsschwierigkeiten, wenn dort die Banken wackeln, Irland oder Spanien als Mitgliedstaaten der Eurozone aber schon? Der Grund ist einfach: In den USA sind seit der großen Weltwirtschaftskrise 1934 nicht mehr die einzelnen Mitgliedstaaten für die ordnungsgemäße Abwicklung oder Rekapitalisierung der Banken verantwortlich, sondern eine zentrale Behörde, die mit allen Durchgriffsrechten ausgestattet ist. Diese Institution heißt Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC). Der von ihr gemanagte Einlagensicherungs- und Bankenrestrukturierungsfonds wird über eine Bankenabgabe finanziert. Das macht die Stabilisierung des Bankensektors bei Schieflagen einzelner Institute wesentlich billiger, da frühzeitig und nachhaltig agiert werden kann. Dann kann man in einer akuten Notlage auch über Nacht eine Bank übernehmen, den Sparern ihre Einlagen garantieren und fortan unparteiisch den Abwicklungsprozess durchführen – unter weitreichender Beteiligung der Bankgläubiger und ohne Rücksicht auf lokale Befindlichkeiten oder langjährig gehätschelte Verbindungen zur Politik. In den USA sind zwischen 2008 und 2012 allein 467 (!) Banken von der FDIC völlig geräuschlos restrukturiert oder abgewickelt worden, ohne dass dies eine Krise befeuert hätte – weder für Staaten noch für Sparer. Im Gegenteil: Bankstabilisierungen werden dort prioritär an den Interessen der Einleger und Steuerzahler ausgerichtet. Die größten Lasten tragen die Bankeigentümer und die Gläubiger der Bank, also zum Beispiel diejenigen, die Anleihen der Bank gezeichnet haben.

Wir müssen jetzt endlich dafür sorgen, dass wir Bankenrettungen im Interesse der Stabilität und der Steuerzahler ausrichten. Dazu gehört zuvorderst der Aufbau einer Bankenunion mit einheitlicher Aufsicht und eine europäische Institution, die die Abwicklung von Krisenbanken vornehmen kann. Dringend nötig ist deshalb, die Zuständigkeit für die Abwicklung oder Restrukturierung von Banken auf die europäische Ebene zu verlagern und eine europäische FDIC zu gründen. Doch Merkel und Schäuble blockieren die Initiative der EU, einen einheitlichen Abwicklungsmechanismus zu schaffen, und argumentieren ausgerechnet damit, dies würde zu großen Kosten für den deutschen Steuerzahler führen. Das Gegenteil ist der Fall: Erst wenn Schwarz-Gelb seinen Widerstand gegen die Bankenunion aufgibt, kann die Haftung der Steuerzahler enden.

Gerhard Schick ist finanzpolitischer Sprecher der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag.



(2) Bei der Insolvenz von Lehmann Brothers, welche die Finanzmärkte wie keine zweite an den Rand des Zusammenbruchs führte, wäre eine Gläubigerbeteiligung von 15% ausreichend gewesen. Vgl. http://www.economist.com/node/15392186


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