50 Jahre “Magisches Viereck”: Statistisches Bundesamt stellt fragwürdige These dazu auf
Magisches Viereck - 08-06-2017

Das ist für sich genommen erst einmal ein großes Verdienst: Das Statistische Bundesamt macht darauf aufmerksam, dass sich das “Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft”, berühmt geworden als Stabilitätsgesetz oder als Magisches Viereck, heute zum fünfzigsten Mal jährt. Die wirtschaftspolitische These allerdings, die das Statistische Bundesamt dazu aufstellt, ist fragwürdig und irritierend.

“Eine stark diskutierte Frage”, so das Statistische Bundesamt, “ist, inwieweit sich diese auf die kurzfristige konjunktur­politische Stabilisierung und Steuerung ausgerichteten Ziele (des Stabilitätsgesetzes: 1. stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstumauch; 2. stabiles Preisniveau; 3. hoher Beschäftigungsstand; 4. außenwirtschaftliches Gleichgewicht, auch als Magisches Viereck bezeichnet, T.H.) heute noch als Zielgrößen der Wirtschafts­politik eignen. Dazu tragen auch die geänderten wirtschaftlichen und politischen Rahmen­bedingungen bei, zum Beispiel die europäische Währungs­union. So ist ein außen­wirtschaftliches Gleichgewicht ebenso wie die Preis­niveau­stabilität auf nationaler Ebene nur noch begrenzt steuerbar.”

Zum einen ist die Eignung des Stabilitätsgesetzes gerade keine “stark diskutierte Frage” in Deutschland. Das Stabilitätsgesetz wird von der Politik wie in der Wirtschaftswissenschaft und in den Medien vielmehr weitgehend ausgeblendet. Es spielt praktisch keine Rolle mehr. Nichts zeigt dies deutlicher, als der Umgang in Politik, Wirtschaftswissenschaft und Medien mit der nunmehr seit vielen Jahren andauernden internationalen Kritik an den horrenden deutschen Außenhandelsüberschüssen. Diese Kritik wird von der Bundesregierung, den deutschen Medien und den deutschen Wirtschaftswissenschaften nicht erst seit Trumps Drohungen, sondern bereits seit der Kritik unter der Obama-Administration, konsequent ignoriert oder seit neuestem mit allen möglichen fadenscheinigen Begründungen abgeblockt (siehe zum Thema zuletzt auch hier).

Zum anderen versäumt das Statistische Bundesamt zu begründen, warum denn “ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht ebenso wie die Preisniveaustabilität auf nationaler Ebene nur noch begrenzt steuerbar” sein sollen. Vielmehr verhält es sich doch so – und so argumentieren Politik, Wirtschaftswissenschaft, Medien und Wirtschaftsverbände ja auch, wenn es darum geht, die deutsche “Wettbewerbsfähigkeit” über niedrige Löhne und Steuern und Abgaben mit allen Mitteln zu verteidigen -, dass die Preisentwicklung sehr wohl im nationalen Rahmen wirtschaftspolitisch gesteuert wird und darüber auch die Entwicklung des Außenhandels: Die deutsche Wirtschaftspolitik hat – massiv unterstützt vom vorherrschenden wirtschaftspolitischen Verständnis in den deutschen Wirtschaftswissenschaften und Medien sowie durch die deutschen Wirtschaftsverbände – auf eine Lohnentwicklung gesetzt, die den Verteilungsspielraum aus Produktivitätsentwicklung und Inflationsziel der EZB nicht ausschöpft. Die Arbeitnehmerseite wurde dafür durch die Arbeitsmarktgesetzgebung im Zuge der Agenda 2010 bewusst geschwächt; die Unternehmen wurden von der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen bewusst entlastet (Senkung der so genannten Lohnnebenkosten), die wiederum verstärkt den Arbeitnehmern aufgelastet wurden. Gleichzeitig wurden die Unternehmenssteuern bewusst kräftig gesenkt.

Die schlechte Lohnentwicklung wird also – bis heute – sehr wohl auf nationaler Ebene wirtschaftspolitisch gesteuert. Unter umgekehrten Vorzeichen zeigte dies bis zum Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 beispielsweise Frankreich, das seit jüngerer Zeit aber begonnen hat, sich an der deutschen Wirtschaftspolitik zu orientieren, weil eben jene deutsche Wirtschaftspolitik, die französische Wirtschaft stark unter Druck gesetzt hat. Nicht nur, dass sich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands aufgrund jener Wirtschaftspolitik verbessert hat, sondern auch, weil infolge dieser Wirtschaftspolitik die Entwicklung der Inlandsnachfrage beeinträchtigt wurde. Sind die Löhne doch das mit Abstand größte Nachfrageaggregat der deutschen wie der französischen Volkswirtschaft. Das gilt grundsätzlich für alle entwickelten Volkswirtschaften. Im Ergebnis sorgte dies dafür, dass Frankreich, wie der Rest der Welt, darunter vor allem die USA und Großbritannien, deutlich mehr Waren aus Deutschland nachfragten als umgekehrt.

Ein klarer Verstoß gegen das Stabilitätsgesetz, dessen Gültigkeit ungeachtet der EU-Gesetzgebung nichts an seiner Bedeutung eingebüßt hat. Die Bundesregierung verstößt wider besseren Wissens gegen das 50 Jahre alte Stabilitätsgesetz. So auch die Argumentation des Statistischen Bundesamts und der Tenor in der deutschen Wirtschaftswissenschaft und in den deutschen Medien. Gerade unter den “geänderten wirtschaftlichen und politischen Rahmen­bedingungen” wie der Europäischen Währungsunion hat sich dies als fatal erwiesen, weil den betroffenen Ländern das Instrument der Abwertung ihrer Währung genommen wurde und damit auch die Möglichkeit, die deutsche Währung aufzuwerten.


Dieser Text ist mir etwas wert


Verwandte Artikel: