Bloß schnell zurück zur Normalität
Der Anfangsverdacht der politischen Vorteilsgewährung und -annahme hat die Staatsanwaltschaft auf den Plan gerufen. Dass dürfte den bis dahin an seinem Amt klebenden Bundespräsidenten dann auch dazu bewogen haben, doch seinen Hut zu nehmen. Kaum ist der Bundespräsident aus dem Amt, konzentriert sich alles auf die Nachfolge. Dabei lädt der juristische Tatbestand der Vorteilsgewährung und -annahme doch geradezu ein, über eine viel größere Dimension der politischen Vorteilsgewährung und -annahme nachzudenken.
Hilfreich vielleicht auch der in diesem Zusammenhang gebräuchliche Begriff der “Klimapflege”. Trägt der Begriff der “Klimapflege” zwar im juristischen Sinne vielleicht “nichts zur Bestimmung der nach den §§ 331, 333 StGB strafbaren Verhaltensweisen bei und ist in diesem Zusammenhang eher zu vermeiden” (1), so hilft er doch im gesellschaftspolitischen Sinne weiter. Immerhin ist hierzu auch zu lesen, dass der Bundesgerichtshof in einem Urteil darauf verwiesen hat, dass “Amtsträger höherer Ebenen mit breit gefächerten Entscheidungsspielräumen” leichter strafrechtlich verfolgt werden können. Es reiche aus, wenn durch “einen Vorteil nur das generelle Wohlwollen und die Geneigtheit des Amtsträgers erkauft, beziehungsweise allgemeine Klimapflege betrieben wird”.
Was Wulff von der Kanzlerin unterscheidet
Die Zeit berichtete am 2. Februar 2012: “Kanzlerin Angela Merkel kommt bei der Umfrage auf ihren besten Wert seit Dezember 2009 – 64 Prozent Zustimmung.” Zur Erinnerung: Es war das Jahr 2009, als Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann im Kanzleramt Geburstag feierte. Der Spiegel schrieb von einem Fernsehinterview, in dem Ackermann von einem Angebot von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) berichtet, etwa 30 Freunde ins Bundeskanzleramt einzuladen. Laut Report Mainz ließ das Kanzleramt dazu verlauten: Merkel habe den Geburtstag des Bank-Chefs “zum Anlass genommen”, ein Abendessen mit Vertretern aus Wirtschaft und Gesellschaft auszurichten.
Hat diese Art “Klimapflege” – ohne die “Causa Wulff” auch nur im geringsten verharmlosen zu wollen – aber nicht eine noch viel größere Relevanz für die Gesellschaft. Immerhin bestimmt die Kanzlerin die Richtlinien der Politik, nicht der Bundespräsident. Natürlich ist die persönliche Vorteilsgewährung und -annahme etwas anderes als – nennen wir es hier – die Vorteilsgewährung und -annahme bestimmter gesellschaftlicher Gruppen, wie zum Beispiel der Finanzwirtschaft. “Er musste die Kredite für seine Eigenheime erklären, sie wohnt in einer Wohnung”, unterscheidet Robin Alexander in der Welt entsprechend zwischen dem Bundespräsidenten a.D. und der Kanzlerin – und spricht Merkel hierüber die Fähigkeit aus, dass sie doch das Amt des Bundespräsidenten gleich mit ausüben könnte. Unter der Überschrift “Sie kann alles” schreibt Alexander: “Angela Merkel ist das wahre Staatsoberhaupt Deutschlands. Längst schwebt die Kanzlerin über den Parteien und übernimmt die Aufgaben ihrer gescheiterten Bundespräsidenten einfach mit.” Was aber wäre mit einem Staatsoberhaupt gewonnen, das den Chef der Deutschen Bank im Kanzleramt Geburtstag feiern lässt? Was ist die persönliche Vorteilsgewährung und -annahme, die politische “Klimapflege”, zugunsten der eigenen Karriere und materiellen Vorteilsnahme à la Wulff gegen diese Art politische Vorteilsgewährung im großen Stil? Man denke nur an die Riesterrente, die milliardenschweren Bankenrettungen, die Deregulierung der Finanzmärkte, die Schaffung eines Niedriglohnsektors, die Leiharbeit, die Privatisierung bzw. Teilprivatisierung öffentlicher Aufgaben und die damit verbundene Abhängigkeit der Leistungen vom persönlichen Geldbeutel. Wem gereicht all dies wohl zum Vorteil?
Eine gesellschaftspolitische Verurteilung politischer “Klimapflege” würde auch SPD und GRÜNE treffen
Hier freilich könnten auch SPD und GRÜNE nicht länger moralisch aufschreien, wie bei Wulff, hier hätten SPD-Fraktionschef Steinmeier und andere nicht in zahllosen Interviews den Moralapostel spielen können. Zeichnen SPD und GRÜNE doch für die oben genannten politischen Entscheidungen und gesellschaftlichen Folgen maßgeblich verantwortlich. Steinmeier hätte angesichts seiner Verwicklung als Staatskanzleichef in Hannover bei den Wahlkampfaktivitäten Maschmeyers für die SPD im Bundestagswahlkampf 1998 generell besser geschwiegen, bzw. erst einmal vor der eigenen Tür gekehrt. In Anlehnung an die berühmte Frage Brechts, was denn der Raub einer Bank gegenüber der Gründung einer Bank sei, könnte man auch fragen: Was ist die persönliche Vorteilsnahme in der Politik gegen die Begründung einer Politik, die von der Mehrheit fordert und eine Minderheit fördert? Und haben hierfür verantwortliche Politiker nicht auch immer persönlich von ihrer Nähe zur Wirtschaft profitiert – und sei es nur, dass sie über eine entsprechende Lobbypolitik wieder ins Amt gewählt wurden und werden oder im berühmten Drehtür-Effekt direkt aus der Politik in ein Unternehmen wechselten, das ihrem vorherigen politischen Aufgabenbereich nahestand? Und was ist mit den regelmäßigen, fünfstelligen Parteispenden aus der Finanzwirtschaft, die auch die SPD und die GRÜNEN gern in Empfang nehmen, genauso wie die zahllosen Stände von Unternehmen auf Parteitagen und deren Sponsoring?
So skandalös die Causa Wulff auch erscheinen mag, die politische Vorteilsgewährung und -annahme im großen Stil wurde sorgsam ausgespart. Sie ist vielleicht juristisch nicht greifbar – aber, wenn die Politik mit ihrer Moral Ernst machen wollte, könnte sie ja entsprechende Gesetze schaffen. So aber sind die Beteiligten in Regierung und Opposition wie auch die Medien unglaubwürdig bzw. greifen in ihrer Kritik zu kurz.
Der Ausschluss der LINKEN bei der Kandidatenfindung
Interessant auch in diesem Zusammenhang, dass die Medien wie die beteiligten Parteien es wie sebstverständlich hinnehmen, dass die Kanzlerin ankündigt, im Einvernehmen mit SPD und GRÜNEN einen gemeinsamen Kandidaten für das Bundespräsidentenamt zu finden – DIE LINKE aber ausgrenzt.
Man kann jeder Partei im Bundestag kritisch gegenüberstehen, aber wie ist so ein genereller Ausschluss überhaupt möglich? Wie kann man einen Bundespräsidenten für das ganze Volk küren wollen, wenn man nicht einmal dazu in der Lage ist, alle im Bundestag vertretenen, vom Volk gewählten Parteien an einen Tisch zu bitten? Den Fraktionsvorsitzenden der LINKEN, Gregor Gysi, scheint dieser Komplex nicht sonderlich umzutreiben, wenn er auf den Hinweis, dass Merkel in Punkto Bundespräsidentenkandidat nicht mit der LINKEN reden will, lapidar feststellt: “Sie hat uns wahrscheinlich versehentlich vergessen. Das muss sie korrigieren.” Sicherlich meint er das humorvoll. Aber es wirkt auch irgendwie hilflos. Vielleicht möchte ja auch Gysi möglichst schnell wieder zurück zur deutschen “Normalität” finden. Bloß schnell “ein bisschen König bzw. Königin“, das bräuchten wir doch schließlich alle (Gysi).
Die SPD würde mit Gauck einen Kritiker politischer Korrektheit und Sarrazin-Befürworter zur Wahl stellen
Die SPD muss sich bei der Kandidatenfrage darüber hinaus zusätzlich die Frage gefallen lassen, warum sich ihr ins Spiel gebrachter Kandidat, Joachim Gauck, der die die Parteien für ihre politische Korrektheit kritisiert und Sarrazin Mut für seine Ausgrenzungsthesen bescheinigt, denn als Bundespräsident eignet. Das sagt doch mehr über die SPD-Führung aus, als ihr vielleicht lieb sein kann. Vor wenigen Wochen hat SPD-Chef Gabriel der Kanzlerin in Bezug auf Wulff vorgeworfen: “Die Kanzlerin bringt Leute in Ämter, die klassische, bürgerliche Tugenden wie Anstand, Ehrlichkeit, Würde, Zuverlässigkeit mit Füßen treten.” Einem Befürworter von Sarrazin spricht Gabriel diese “bürgerlichen Tugenden” offensichtlich nicht ab.
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(1) “Abschließend bleibt noch einmal hervorzuheben, dass auch die Strafbarkeit nach § 333 StGB maßgeblich auf einem Beeinflussungswillen beruht. Wenn es in Abgrenzung zu § 334 StGB auch nicht der Kommunizierung der eigenen Erwartungen bedarf, verlangt eine Strafbarkeit nach § 333 StGB, dass der Geber zumindest billigend in Kauf nimmt, dass der Amtsträger die mit dem Vorteil verbundene Erwartung einer Gegenleistung im Rahmen der Dienstausübung versteht. Erkennt der Amtsträger diesen Hintergrund des Vorteils und nimmt diesen trotzdem an, überschreitet er die Schwelle zur strafbaren Annahme eines Vorteils gemäß § 331 StGB. Alleine insoweit und nicht per se ist “Klimapflege” strafbar. Damit trägt der Begriff letztlich nichts zur Bestimmung der nach den §§ 331, 333 StGB strafbaren Verhaltensweisen bei und ist in diesem Zusammenhang eher zu vermeiden.”(Quelle: Philipp Reinhold, Zur Strafbarkeit der “Klimapflege” nach §§ 331, 333 StGB, Online-Zeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht, April 2010, S. 213)
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